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  • AutorenbildArne K. Fischer

Blick scharf in die Stille

Aktualisiert: 6. Mai 2019

Mehr als 11 Jahre hat es gebraucht, um ein aktuelles Portrait der indonesischen Gesellschaft zu filmen, die noch heute unter den Folgen des Genozid von 1965 unter Suharto zu leiden hat.

Die USA unterstützten die indonesischen Regierungstruppen bei ihrem Kampf gegen die kommunistische Bedrohung. Massive Finanzhilfen erlaubten die Bezahlung sogenannter „Death-Squads“. Sie waren nötig um die Masse der quasi vogelfreien, stigmatisierten Minderheiten zu eliminieren. Viele Teilnehmer dieser Todeskommandos sind zur Zeit des Films entweder noch in der schon vor 1965 bestehenden, politischen Organisation „Pancasilla Youth“ aktiv oder werden respektvoll als Helden verehrt.

Wie sich die Mörder rekrutieren ließen und wie sie mit ihrer größtenteils unreflektierten Schuld leben, wird im ersten Teil der zwei zusammenhängenden Filme The Act of Killing von 2012 und The Look of Silence 2014, von Joshua Oppenheimer deutlich. TAoK wurde wegen seiner aufklärerischen Leistung hoffnungsvoll, aber dennoch sehr kritisch angenommen. Seine Aufmerksamkeit entstand u.a. dadurch, dass in dem Film fast ausschließlich die Täter zu Wort kommen. Durch enthusiastische Erzählungen und dem äußerst positiven Willen der Mörder ihre Taten nachzuspielen, konnte das wahnsinnige Schauspiel in Bildern eingefangen werden. Dies geschah jedoch auch im Beisein der Opfergeneration. Den Leidtragenden konnte die Schwere ihrer Last angesehen werden, mit der sie sich tagtäglich und teilweise öffentlich auseinandersetzen müssen.

In The Look of Silence wird nun den Opfern das Wort überlassen. Wir begleiten Adi als Träger einer Bürde des reflektierten Beobachters mit der er auskommen muss. Der Film beginnt damit, wie Adi Filmausschnitte sichtet die Oppenheimer ab 2003 dazu brachte die Filmideen zu entwickeln. Auf Palmölplantagen möchte Oppenheimer Arbeitern helfen, dabei trifft er zwei Männer, die sich frei heraus mit ihren mörderischen Taten brüskieren. Später erfahren wir, wie die Szenen weiter verlaufen - als spontanes Reenactment einer brutalen Zurichtung. Adi erfährt quasi aus erster Hand die Details der Folterung seines verstorbenen Bruders. Heftige Bilder der krassen Szenen bleiben uns dabei erspart, jedoch nicht die erzählerischen Momente ihrer Darstellung. Genau das, was Adis Kinder beiläufig in jüngstem Alter als lehrreiche Geschichten in der Schule erfahren.

Adi versucht deshalb mit der älteren Bevölkerung ins Gespräch zu kommen, um die permanenten Ungereimtheiten des täglichen Lebens und die emotionale Zerrissenheit der Mitmenschen zu verstehen. Er selbst bietet den Service eines Optikers, der die Sehschärfe der Menschen - vielmehr ihren Blick auf die Realität - überprüft.

Er und somit seine Interviewpartner werden ständig von der Filmkamera begleitet. Selten ist aus dem Off die Stimme Oppenheimers zu hören. Unter diesem Vorwand spricht Adi, teils sehr direkt über „frühere Ereignisse“. Hierbei scheint ziemlich schnell klar zu werden, wie die Karten der Anwesenden gemischt sind. Ein Schmelzpunkt in den Interviews, der immer genau dann eintritt, wenn die Nachfragen Adis persönlich werden: Die Interviewten scheinen einen kurzen Augenblick innezuhalten, um ihre Position, ihren Rückhalt in der Situation vor der Kamera bzw. vor sich selbst zu überprüfen. Es ist die reine Konfrontation mit ihrem Gewissen.

In den Interviews kann Adi nicht zu den Tätern durchdringen. Und dennoch wird erkenntlich, dass sich die immer noch aktiv agierenden oder passiv Machthabenden auf die terroristischen Strukturen berufen: „Hatte dein Cousin nicht chinesische Vorfahren?“, „Warum wird das hier politisch, eben waren wir noch freundlich zueinander … hört auf zu filmen … ihr wollt doch nicht, dass sich das wiederholt?“. Auf beiden Seiten herrscht Angst, alle Beteiligten haben etwas zu verstecken, es wird bedrohlich, es wird gedroht. Der Zusammenhalt der Familien hilft den Unterdrückten, aber auch denen, die sich klar werden, dass ihre Taten moralisch vielleicht doch nicht rein sind.

Um dem Leid ein Gegengewicht zu geben, werden häufig Adis Eltern gezeigt. Sie sind alt. Die Mutter hasst die Mörder ihres Sohnes und wünschte sie wären tot, durch Gottes Willen. Trotzdem lassen diese Szenen ein ruhigeres Abseits im Film zu. Im Umgang miteinander wirkt Adis Familie liebevoll. Dort zwischen dem Grün vor dem Haus, beim Saat sortieren, ist es ruhig. Die Mutter ist stets in Fürsorge für den kranken Vater. Adi meint er hätte seine intakte Psyche durch die Gräueltaten und das unaufhörliche Leben zwischen Lügen verloren.

Die wiederkehrenden, indirekten Antworten der Interviewten zeigen Sitzpositionen, Gesten und Blickrichtungen, anhand derer durch ihre Maske zu blicken ist. Manche sind so sehr von ihrer Fassade geschützt, dass unklar bleibt ob sie nicht reflektieren können oder wollen. Allerdings wirkt vieles mit enthüllender Aussagekraft, sodass Gefühle wie Angst klar in Richtung Verteidigung „Lasst das Vergangene ruhen“ oder als aggressive Abwehr „War dein Onkel nicht bei der Gewerkschaft“ zu deuten sind. Die Interviews offenbaren die Strukturen der Machtverteilung. Jeder hat Angst entdeckt zu werden. Viele ältere Männer argumentieren mit dem Recht des Stärkeren: Sie hätten den Staat mit der nötigen Gewalt geschützt, sie wurden durch den offiziellen Status einer Demokratie beauftragt und die wie sie selbst in höhere Positionen, bis heute wiedergewählt wurden.

Während einem Interview trifft Adi eine Frau in seinem Alter, die ihren Vater betreut - er ist zu schwach um sich zu wehren, im Interview wendet er sich schließlich ab, sie freut sich. Sie erkennt den Mut von Adi, sie kommen ins Gespräch.


Zum Regisseur Joshua Lincoln Oppenheimer, 1974 in Austin, Texas in den USA geboren studierte an der Harvard University beim jugoslawischen Filmregisseur Dušan Makavejev. Von 1995 bis 2008 folgten mit kurzen Unterbrechungen Filme, die sich meist gesellschaftspolitischen Themen widmen. The Entire History of the Louisiana Purchase von 1998, ist der erste umfassendere Versuch Oppenheimers Dokumentation und Fiktion zu vereinen. 2003 drehte er zusammen mit Christine Cynn The Globalisation Tapes für den er internationale Anerkennung und Preise gewann. Nebenbei entstanden die ersten Szenen und die Idee für zwei Filme zum Thema des Genozids von 1965. Oppenheimer konnte sich mit The Act of Killing die Unterstützung von Werner Herzog und Erol Morris für den zweiten Teil The Look of Silence zusichern. Der Film wurde u.a. auf der Berlinale 2013 mit dem „Ecumenical Jury Prize“ und dem „Panorama Audience Award“ ausgezeichnet. Er selbst kann seit den ersten Screenings von TAoK aufgrund von Morddrohungen nicht mehr nach Indonesion reisen. Vor dem ersten Screening von TLoS sorgte Oppenheimer dafür, dass Adis Familie umgesiedelt wurde. Inzwischen ist die Aufführung und das öffentliche Gespräch im Zusammenhang mit Oppenheimers Werken in Indonesien erlaubt.


Auf den unterschiedlichen offiziellen Seiten zum Film finden sich weitere tiefergehende Hintergrundinformationen.


Titel: The Look of Silence - 103‘, u.a. Dänemark/Indonesien 2014.


Regie: Joshua Oppenheimer Kamera: Lars Skree

Produktion: Signe Byrge Sørensen Musik: Seri Banang, Mana Tahan Editing: Niels Pagh Andersen

Sprache: Indonesisch, Javanesisch - mit englischen Untertiteln Erstaufführung: 28 August 2014


Eine Vorherige Verfassung des Artikels erschien ursprünglich auf:

http://dkritik.de/kritik/blick-scharf-in-die-stille

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