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  • AutorenbildArne K. Fischer

Die Oblate am Rand der Waagschale

Ja, auch mit Kreuzweg  lässt sich keine Diskussion um das Für und Wider von irgendwie (aus)gearteten Religionsgemeinschaften gewinnen, geschweige denn führen.

Dieser Film handelt nicht von Katholizismus sondern von Kindern und Jugendlichen, die unter der Herrschaft und der Meinungsmanipulation durch Bezugspersonen leiden. Die Mittel für den Gehorsam bilden die aggressive, verbale Gewalt, die hier von einer ultra-fanatischen Mutter (Franziska Weisz) ausgeht und das moralisch, schuldbewusste Gewissen, das den Kindern mit Hilfe des Gemeindepaters (Florian Stetter) freundlichst indoktriniert wird. Anfangs wirkt das noch raffiniert und lädt gekonntermaßen zum Lachen ein. Später, wenn der Vergleich zu persönlichen Bekannten aus der eigenen Jugendzeit dämmert, trübt sich die Stimmung und der Film wird zu einem immer realistischeren Abbild.


Wie in einem offenen Buch werden die Verbindungen zwischen den Charakteren und ihren befremdlichen Lebensgrundsätzen durch das kompromisslose Gesten- und Minenspiel aller Beteiligten präsentiert.

Kreuzweg verhält sich stilistisch innerhalb der vierzehn szenischen Räume so rigide, dass das Ohr gebannt jedem Satz der perfiden Kommunikation folgt. Jedes Gespräch scheint einem Weltbild zu entsprechen, das mit seiner unaufgeklärten Grundidee von vor hunderten Jahren überzeugen möchte und durch das Unwohlsein gegenüber der strengen Unterdrückung, die Linie einer pubertären Rebellion bis heute zeichnen möchte.

Der Blick oder das eingeengte Gefühl lässt den erstickenden Hilfeschrei Marias nachempfinden, die nach einem Ausweg aus der vertrackten Situation und den allegorischen Bildern sucht. Es gibt keine Privatheit, keine Individualität ohne Dogma, keinen Moment der Ruhe vor Gott. Wir begleiten hier kein rein fiktiv überspitztes Einzelschicksal, das dem Kreuzweg der Jesus Figur angelehnt ist, sondern das, was sich in einem modernen, psychischen Krankheitsbild manifestieren kann, das mit der Anorexia nervosa Marias verkörperlicht wird.

Ein beeindruckender Moment des Films ist die tatsächliche Erlösung in der Sterbeszene Marias. Der Zuschauer wird vom klaustrophobischen Dauerzustand, ebenso wie Maria durch die letzte Ölung erlöst: Indem ihr der Pater die Oblate in den Mund drückt, löst er ihren Herzstillstand aus. Er oder das Schicksal sind schuld und die Mutter muss sich nicht mehr mit Maria herumärgern und kann dem ganzen noch etwas Positives abgewinnen...

Kreuzweg will nicht belehren, der Film stellt dar, dass das unbedarfte Weltbild von Kindern massiv von außen bedroht ist, wenn aus verquerer Absicht und Zuneigung Misshandlung entsteht. Die Brüggemanns verdeutlichen, dass dies schon in der liebevollen Kleinfamilie geschehen kann und nicht von einer großen Gemeinde abhängig sein muss. Es wird deutlich, dass Religion sinnsprechend für die Einstellung zum Leben ist und verderbend wird, sobald sie missionarisch agiert. Die filmische Reduktion auf die strukturellen Details ermöglicht einen passenden Umgang mit menschlichen Grundproblemen abseits der medialen Fixierung auf Schuldzuweisung und ethnische Muster.


Titel: Kreuzweg - 110‘, D 2014.

Darsteller: Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter, Hanns Zischler, Moritz Knapp, Moritz Knapp Regie: Dietrich Brüggemann Drehbuch: Dietrich Brüggemann, Anna Brüggemann Produzent: Jochen Laube Kamera: Alexander Sass Verleih & Bildrechte: Camino Filmverleih Starttermin: 20.03.2014


Dieser Artikel erschien als erste Fassung hier:

http://dkritik.de/kritik/die-oblate-am-rand-der-waagschale

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