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  • AutorenbildArne K. Fischer

Essay - Fritz, es is a Mordsgaudi!

Die Hits von Fritz „Thüringer Klösse“ und „Thüringer Junge“ sind wundervolle Beispiele deutscher Trashkultur. Sie kommen aus dem Unterhaltungsbetrieb der Schlager- und Volksmusik und sind unbedingte Grundlage für das Verständnis dieses medienwissenschaftlichen Essays. Aber warum muss die VICE eine nichts sagende, angeblich „filmwissenschaftliche Analyse“ zu den Hits verfassen, die eigentlich auf unserem Terrain liegt und was kann Fritz dafür?

Wer ein irgendwie geartetes Faible für Volksmusik hat,  findet sich schnell im Kloß-Lied wieder: Auf Eins klatscht es sich los! Marschmusik mit Tuba, Trompete und schepperndem Becken! Trää-rä-ba-uff-taa-ba-uff-tata, zwei-und-drei-und immer so fort. Intro-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Halbtonschritte nach oben-Refrain-jetzt die Schlussreprise noch einmal kräftig mitsingen, fertig!

Das lässt sich stundenlang im Auto oder im Suff mitsingen. Bei Helge Schneider waren es Reis, Katzeklo und Möhrchen - man hat sich köstlich mit ihm amüsiert. Fritz singt zum Glück nicht über so etwas kindisches wie Schnappi, dafür ist er zu alt, aber typisch scheint die Angelegenheit für einen Jugendlichen seines Alters nicht zu sein. So etwas ulkiges verbirgt höchst spekulative Motive darüber wo der Witz eigentlich herkommt.

Außerdem gibt es diese kritische Textzeile, dass Fritz dem Kloß immer den Vorzug gewähren würde, wenn sich eine Auswahl gegenüber Spaghetti und Döner ergeben würde. Hier verbirgt sich im Kleinen eine problematische Thematik, die irgendwo zwischen Ressentiments und vollem Bauch zu spüren ist. Der Hörer wird wieder und wieder gezwungen über die politischen Bezüge oder die eigentliche Sinnfreiheit dieses Ausspruchs nachzudenken. Was denkt Fritz wenn er so singt?

Der Videoclip orientiert sich dem Kloß-Bekenntnis entsprechend, an deutscher Schlagerkultur. Fritz ist, man könnte es selbst nicht authentischer verkörpern, so eingekleidet als ob er für seinen Auftritt im Musikantenstadel probt. Die Kulissen sind uns vertraut. Sie ähneln einem Mesh-Up aus anderen heimatverbundenen Repräsentationen, die uns beiläufig aus Film und Fernsehen bekannt sind.

Das besondere am Werk ist die Unbedarftheit von Fritz im Umgang mit dem ästhetischen und symbolischen Aufbau, was sich in dem beinahe persiflierenden Einsatz der szenetypischen Gestik und seiner gestelzt wirkende Motorik vor der Kamera wiederfindet. Fritz wird trotzdem ganz selbstbewusst und mit seinem fröhlichen Lächeln gezeigt.

Am 07.08.2013 ist die zweite Single „Thüringer Junge“ von Fritz erschienen. Wie schon der erste Hit verbreitet sich das zweite Lied von Fritz besonders schnell im Internet durch den dazugehörigen Youtube-Musikclip. Für das Online-Magazin VICE war die Viralität des Videos der ersten Single entscheidender Anlass einen Beitrag zu verfassen. Liest man den ersten Beitrag zeigt sich schnell weshalb er verfasst wurde. Die offene Interpretation des Videos benötigt die Zustimmung der Lesermeinung. Hierfür wird der vermutete Hype dahingehend gedeutet und genutzt, um sich auf Kosten von Fritz zu belustigen. Ob diese unterschwellige Provokation nötig oder zielführend ist, sei dahingestellt. Ganz spießig und ernst verfahre ich bei meiner Gegenposition zur VICE so, als ob ich mich nicht einen Moment über Fritz amüsiert hätte und möchte, wie schon beschrieben zeigen, dass für einen Autor immer die Wahl besteht auf welche Art und Weise eine Äußerung über Persönlichkeiten stattfindet: Liebe VICE, Fritz verfügt über mehr Selbstbewusstsein und kreatives Potenzial, als eure Redakteure, die gerne ganz ungeniert Trittbrett fahren und gerne mal mit diffamierenden Klischees rumwursten! Ayke Süthoffs trivialen filmwissenschaftlichen Überlegungen ist so einiges hinzuzufügen, dessen ich mich mit einer tiefergehenden Analyse annehme möchte.


Eine filmwissenschaftliche Analyse von Fritz‘

Erste These: Fritz Wagner aus Suhl im schönen Thüringen ist unverwundbar, da er viel zu sympatisch ist!

Zweite These: Die VICE weiß gar nicht was sie will und schreibt nach dem erzähl-mir-was-du-auf-dem-Bild-siehst-Prinzip der ersten Grundschulklasse ...

Der Autor Ayke Süthoff beschreibt die Bilder des Musikclips verbunden mit lockeren Kommentaren und Alltagshumor, wie es ein Jeder formulieren könnte. Der Artikel soll als Zusammenspiel von Text und Bildern für eine kurzweilig amüsierendes Leseerlebnis funktionieren.

Über die thüringische Landschaft z.B. wird sich verlustiert, da sie verregnet ist. Man merkt sofort, dass eine unglaubliche Fahrt durch ein Gebirge von Kalauern beginnt. Einige Bilder wirken im Clip durch Licht oder abweichendes Wetter derartige deplaziert ... sodass sich dies als Vorlage für den ironischen Kommentar zum zweiten Bild, den Schwenk über das Blumenbeet ergibt.

Süthoff beschreibt nach seiner vorgenommenen Szeneneinteilung jetzt den Bezug zwischen den Wirkungsebenen des Videos. Der Text des Liedes beginnt, der „Auftritt des Stars“ wird beschrieben.

Fritz tritt gestenhaft aus einem Wäldchen nach vorne ins Bild und singt u.a. die Zeile „meilenweit gehen“. Derart offensichtliche Details im Filmskript bilden häufiger wichtige Bezugspunkte für Süthoff. Noch vielversprechender scheint es ihm fortlaufend Kommentare über die Zusammenhänge der Bild-Ästhetik und der Gestik von Fritz zu machen. Zum Beispiel schwelgt die Bewertung des Outfits von Fritz sogleich in unglaublicher Hipster-Ironie: Es bleibt offen ob man Fritz für seinen Stil belächelt, ihn als hip oder auch campy beurteilen könnte, da alle Anmerkungen von Mehrdeutigkeit überlagert sind. Die Einkleidung in Trachten oder darauf bezugnehmender Mode ist im Sektor der Volksmusik übrigens Usus.

Die Analyse der dritten Szene, das Klößeessen, wird für einen versteckten, inzestuösen Witz genutzt - leider liest es sich vermutlich für viele so. Die skurrile Zusammenkunft schöpft allerdings viel mehr aus dem Gestenspiel von Fritz, der bei Tisch singt und dem älteren Herrn der isst, wie ein alter Herr nunmal isst. Die Konstellation aus unüberlegtem Bildaufbau und Laiendarstellern, z.B. dass der ältere Herr wiederholt flüchtig in die laufende Kamera blickt, könnte auch als Wert für die Belustigung gemessen werden.

Hier wird mit Sehgewohnheiten gebrochen, dies hat Wirkung, denn der Betrachter kennt so etwas nicht aus professionellen Musikvideos, sondern kann sich durch eine andere Lesart von z.B. Playbackveranstaltungen wie dem Musikantenstadel amüsieren, weil die Inszenierung trügerisch scheint. Improvisierte Drehorte im halb-öffentlichen Raum der Shows sind oft aufgrund unerwarteter Verhaltensweisen von Statisten deswegen so interessant, wie es aus Homevideos oder von Reality-Formaten bekannt ist, da sich diese immer auch an einer voyeuristischen, stigmatisierenden Schaulust ergötzen.

In der vierten Szenenanalyse verweist Süthoff auf die Wichtigkeit von „Sehenswürdigkeiten im Kontext deutscher Volksmusik“, hiermit wurde immerhin ein Stilmittel identifiziert. Das witzige Element, die viel zu lang dauernde Begleitung von Fritz‘ gestelzter Motorik durch die Kamera und die amateurhafte Verwendung von Schwenk und Zoom werden nicht angeführt.

In der fünften Szene ist es für Süthoff belustigend zu beschreiben, dass „wer so heimatverbunden ist wie Fritz, der besteigt regelmäßig den Aussichtsturm“. Süthoff lässt unter anderem die später folgende Szene aus, in der der Aussichtsturm in Gänze gezeigt wird - vielleicht, weil er das Gebäude auf dem Domberg bei Suhl nicht identifizieren kann und ihm dazu kein ebenso flotter Spruch einfallen wollte.

Der Witz der sechsten Szene liegt wieder in der übertriebenen Geste von Fritz, der passend zum Liedtext mit den Händen eine zu groß geratene Kloßform zeigt. Danke liebe VICE wir haben es verstanden, das Stilmittel den Beitrag durch solche Feststellungen und Kommentare aufwerten zu wollen wird spätestens jetzt langweilig.

In der Beschreibung der siebten Szene ist beinahe filmwissenschaftliches Talent zu erkennen, da dem Autor der Fehler im Skript auffällt, dass normalerweise eine Bestellung vor einem Essen stattfindet. Inzwischen müsste allerdings jeder der das Video sieht verstanden haben, dass der Charme des Videos aus dem Amateurhaften rührt, weswegen solche Fehler von Rezipienten vorausgeahnt werden können und keine Kalauer sein müssen.

Die nächste Szene wirkt durch die bisher beschriebenen, immer wiederkehrenden Aspekte. Hinzu kommt vom VICE Autor ein „winke, winke, Hallo Fritzi!“ Kommentar, der auf das Kindlichkeits-Motiv der Teletubbies verweisen soll, um das Wesen der Protagonisten zu beschreiben. Süthoffs debiler Kommentarreichtum stellt sich damit auf die gleiche Ebene, die er belächelt, sein Text wird nicht besser.

Mit der neunten Szenenbeschreibung geschieht etwas grandioses: Süthoff denkt, das Bild zeigt den „Blick von oben herab auf ICE-Neubaustrecke Erfurt-Halle/Leipzig“. Bisher befanden wir uns in Suhl. Nahe liegender wäre zu vermuten, dass die Perspektive südwestlich vom Domberg aus am Lautenbach entlang läuft und die Brücke ein Teil der A73 ist. Der knapp 100 Kilometer breite Gedankensprung Süthoffs, dass die Brücke im Bild wie er meint „die Neubaustrecke Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8.2 zwischen Erfurt und Halle/Leipzig Teil des Gesamtprojekts VDE 8 ist“ wird dadurch absurder, zumal er neben der Wikipedia Zitation, hätte lesen können, dass es sich, wenn schon um Schiene Nr 8.1 handeln müsste ... Der unterschwellige, abwertende Witz über das angeblich hinterwäldlerische Suhl „An Fritz' Heimat rauscht der Zug also mit Höchstgeschwindigkeit vorbei.“ kann nur durch solch einen Fehler funktionieren.

Süthoff baut einen weiteren unsinnigen Verweis ein, um auf sein zeitnahes und mediales Wiki-Wissen zu verweisen. Wen es interessiert der folgt dem Link und sucht die 2,7 Milliarden Euro. Bei der Gelegenheit kann auch „investigativer Journalismus“ nachgeschlagen werden, aber das unterliegt in der VICE einer ganz eigenartigen Definition.

Die zehnte Szene in der sich Fritz winkend verabschiedet, dient dem Autor nur noch zum Abschluss des Artikels ohne eine Antwort auf die Frage nach der Faszination des Videos geben zu können, die anfangs aufgestellt wurde.

Ayke Süthoff bezieht nie wirklich Stellung gegen Fritz. Wohlwissend, dass dies sofort als pöbelnd identifiziert werden könnte. Trotzdem schafft er es nicht aus Wohlwollen etwas angenehmes über Fritz und sein Produktionsteam zu schreiben. Allerdings wird somit eine Art schwebende Intention bedient, die an den allgemeinen Konsens deutscher Trivialliteratur und Fernsehformate anschließt. Dieser gesellschaftliche Konsens sorgt häufig dafür Gegebenheiten klischeebedingt abzustempeln, um sie im Wertekanon dort zu verorten, wo Außenseiter und Personen als minder intelligent stigmatisiert und dem Spott ausgesetzt sind und ausschließlich als mediale Persona dienen sollen. Frei nach dem Motto jeder dürfe der Gehässigkeit einen drauf setzten, wie es Stefan Raab und Dieter Bohlen schon zu oft versucht haben.

Damit zeigt sich, das Video braucht den Beitrag der VICE nicht um zu wirken. Eine lästerliche Beschreibung ohne Syntheseleistung, die vorgibt das alles irgendwie okay ist und dadurch versucht harmlos zu wirken.

Aber wahrscheinlich ist dieses Prinzip ein großer Teil des Antriebs, der auch hinter den inzwischen 3,4 Millionen Views für „Thüringer Klöße“ liegt. Denn was man leider nicht vergessen darf, entschuldigt mich es beschreiben zu müssen, Fritz entspricht nicht dem allgemeinen Schönheitsideal. Seine Frisur, die Wahl des Outfits, sein Wesen als Chorknabe mit heller Stimme, sein zu groß geratenes Erscheinungsbild für einen Vierzehnjährigen, die Zahnlücken, das stetige Wippen und Wanken im Takt, das monotone Nicken während des Liedes sind Angriffspunkte für Freunde der Diffamierung. Diese Merkmale werden als Makel empfunden über die es normal, also erlaubt scheint zu lachen. Weshalb sogenannte Freaks in Außenseiterpositionen gerückt werden und in vielen Fällen wenig Loyalität erfahren, wäre z.B. bei Michel Foucault nachzulesen.

Derart ablehnenden Haltungen folgen in solchen Fällen meist der argumentativen Voraussetzung, dass jeder das ästhetische Gefühl dafür haben sollte, welche Eigenschaften in einer Medienöffentlichkeit für Bewunderung oder Belustigung sorgen und es selbstverantwortet ist, sich durch einen gewagten Schritt an die Öffentlichkeit mit der medialen Be- und Verwertungsspirale auseinandersetzen zu müssen. Zum Glück gibt es genügend Fans, die sich zu Fritz bekennen und sich entsprechend defensiv positionieren. Zurecht, denn Fritz traut sich verdammt viel indem er so ist wie er ist und macht was er kann und somit dazu beiträgt, dass Pop-Kultur und Videokunst durch solch authentischen Einflüsse vielfältig bleiben. Darüber hinaus ist beachtlich, wie diskursiv das ganze ist! Eins vor allem: Es is a Mordsgaudi!

...Der zweite Kommentar zu „Thüringer Junge“ von Ayke Süthoff, ist übrigens hier zu finden, etwas angenehmer gelöst ... aber eigentlich genau das gleiche. Ich beschäftige mich derweil mit den Unterschieden zur Produktionsbedingungen der zweiten Hitsingle.

Gruß nach Suhl, besten Dank Fritz!


Der Artikel erschien zuerst hier:

http://dkritik.de/kritik/essay-fritz-es-is-a-mordsgaudi

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