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  • AutorenbildArne K. Fischer

Musik-Video: Lifnej – The Hirsch Effekt

Aktualisiert: 18. Apr. 2019

Music Video Analyse: The Hirsch Effekt – Lifnej

Tatsächlich hält es mich heute Morgen wach, seit halb vier an einem Samstag. Neben mir schnauft lieblich eine wundervolle Seele. Vieles hat sich in meinem Leben verändert. Noch vor einem Jahr hielt ich ein schlimmes Gefühl, bspw. einen eintreffenden großen Verlust wahrscheinlicher, als dem was sich trotz des Ärgers über fehlenden Schlaf, bei einem vergleichsweise frühem Zubettgehen, morgens in meinen Gedanken zusammenreimt.

Lifnej – bis jetzt hatte ich es versäumt.



Wie kann es beschrieben werden, ohne in eine filetierende Analyse zu zerfallen? Ein so starkes musikalisches Werk, dessen Video-Release mich klanglich und bildsprachlich, beim ersten Hören und Sehen umgeworfen und tatsächlich mit Tränen angereichert hatte. Seitdem nannte ich dieses Musik-Video bspw. meinen Studies in meinem Medienanalyse-Seminar als ‚das Referenz Musik Video‘ des letzten Jahres. Klar, es ist keine High-Budget Produktion. Dafür wirkt sie mit wenigen und versierten stilistischen Mitteln.


Hauptsächlich entgegnet sie der musikalischen Überforderung und der sonst medial kursierenden Bilder- und Bedeutungsflut, trotz der teilweise hohen Schnittdichte, indem sich die Bedeutungsebene symbolisch zurücknimmt und ein kohärentes Gefühl vermittelt. Dem Lied ‚Lifnej’ wird ein Intro vorangestellt ‚Autio‘, das normalerweise an anderer Stelle auf dem 2018er Album ‚Eskapist‘ von The Hirsch Effekt erklingt. So beginnt das Video mit einem Vorlauf, bei dem wir zu erkennen versuchen, was es mit den zwei Protagonisten auf sich hat. Während diese sich auf einer Autofahrt vor dem Sonnenaufgang befinden, werden nebenbei Sinn tragende Dinge eingeführt: ein Traumfänger, eine Urne, verfließendes Wasser. Diese bleiben durch das Halbdunkel und die sich aufbauende Spannung eher unentdeckt oder gedanklich im Hintergrund – ebenso wie im späteren Verlauf Ringe und Ketten, die beiläufig auf Verbundenheit hinweisen. Dann folgt erst mal ein Schlaggewitter in die Fresse, vielmehr in die Ohren. Für die nächsten zweieinhalb Minuten performt die Band in einer von weiß-blauen und rötlichem Licht durchbrochenen Lagerhalle. Mikrofone sind abwesend, was auch dazu beiträgt, dass dieser Ort zu einer Parallele wird, an dem zwar die Musik erzeugt, aber bildlich vielmehr die mündliche Erzählung der Handlung formuliert wird – mythologisch und historisch betrachtet, eben dort wo die Geschichten herkommen – aus der verstörenden Nacht und der verschlossenen Kammer im Kopf.


Das Licht bildet die Rahmung und die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Orte. Hier in der abgedunkelten Halle gleichen die Stroboskopstrahlen dem kalten Sonnenaufgang, der von den Stämmen im Wald in gleißendes Weiß und Schatten unterbrochen und vermutlich in seiner Farbigkeit durch einen Filter intensiviert wird. Dabei entsteht Unklarheit darüber, ob es auch Mondlicht sein könnte, wodurch das Thema des Traums rekurriert. Für mich, wird durch dieses sich etablierende Setting auch an die wohlbekannte körperlich-emotionale Wirkung einer durchmachten Nacht angeknüpft, die fortan zwischen Musik und dem eigentlichen Erzählstrang als Verstärker korrespondiert. Das Hin und Her zwischen Kontrapunkten stellt hierbei eine weitere Ebene dar, die sich im Auditiven, wie auch im semiotischen des Musikvideos finden.


Das Lied ist in zwei Themen unterteilt, die Härte der Strophe und die Auflösung durch den Refrain, dem auch das ruhigere Dazwischen zugehört. Nachdem die Virtuosität der Band eingeführt, aber durch die Leichtigkeit und Lust beim Musizieren, sowie perspektivisch nicht exzessiv übertrieben, sondern als Beiwerk zum Erzählen dargestellt wird, folgt ein ungewöhnlich starker Kampf zwischen dem Protagonisten-Pärchen, das sich trotz seiner liebevollen Annäherung nun beinah die Haare ausreißt, während beide, wie Besessene in einem Horror-Film, den anderen in den Schacht eines Grabes stoßen wollen. Verliebte Gesten werden erst wieder beim Einsetzen des Chorus gezeigt, der viel harmonischer als die Strophe klingt. Das mag zwar banal wirken, anders herum wäre es allerdings einfach nur bescheuert. Von den heftigen Berührungen verbleibt an den beiden Schauspieler*innen als Einziges eine erdig verschmutzte Staub-Spur.


Es folgen mehrere unbedeutend scheinende Ideen, zärtliche Hände, das Festhalten ihres Kopfs mit einem ausgedehnten Blick – der in sich hält, ein Kuss auf die Stirn – nicht auf den Mund als Ausdruck von Geborgenheit, folgend ihr Herabsinken, und nach einer längeren Weile ihre Hand, hinter der ihre Augen versteckt bleiben, ohne dass er im Bild ist … ab jetzt wirkt es komisch, er der die Blumen pflückt, das aufgesetzte Versteckspiel im Wald … hier scheint die Bedeutungsebene platt zu werden.

Allerdings folgt nun genau auf das Wort und zur zeitlichen Mitte des eigentlichen Liedes, der wichtigste Moment der Pärchenbeziehung: Die Realität, die noch am Ende des Videos eintreffen wird entsteht, da Er als Motiv, genau bei dem Wort ‚verloren‘, hinter ihr aus dem Bild und somit aus der Erzählung der Lebenden fällt. Sie bemerkt dies nicht sofort, da sie weiter geht und ihn hinter sich wähnt, um kurz darauf ‚wie verloren‘ im Wald zu stehen. Textlich wird folgend die Traum-Erwachen-Relation verhandelt und dadurch auch das bisher Gezeigte infrage, als Vergangenheit und als Schreckensmoment nach dem Aufwachen hingestellt. Gestus, Szenen und Sänger-Wechsel werden eins, wie auch die Vermischung von Traum und Wirklichkeit. Die gewisse Unklarheit über die Bedeutung der Textebene spiegelt sich in der Unklarheit über das Schicksal der Protagonisten. Etwas ist jedoch spürbar, es werden thematisch Gefühle aufgebaut und die sie tragenden Motive fallen gelassen.


Ab jetzt folgt das Ende der Erzählung: Im dunklen Wald flüchtet Er panisch ins Nichts, Erinnerungen werden gebrochen dargestellt, indem Sie am Autofenster sitzt und mit ihren Fingern auf die Scheibe tippt, wobei Er nur noch als eine Reflexion zu sehen ist: Es zeigt sich ihr Nachsinnen, Er wirkt traurig und ist in der Kälte der Glasscheibe erstarrt. Das Gefühl, mit dem Sie den eintreffenden Morgen beginnt.

Noch einmal ein rückverweisendes Bild auf das Gefühl durch den Staub des Kampfes, das den Bezug zwischen Traum, Erinnerung und Realität verwischt – obwohl nun durch den Sonnenaufgang klar wird, dass der reale Morgen anbricht, der die Fortsetzung der Zeitachse bedeutet. Die Handlungsebene, die die Zukunft darstellen soll, wird deutlicher: Sie allein im Auto, die Blumen verwelkt, Er abgeschieden rechts im Bild mit herabfallendem Blick zum Äußeren des Bildrahmens – körperliche Gesten von ihr, die den Willen zum Loslassen ausdrücken.


Mit dem nun wieder einsetzenden Schlagzeug und der Zeile „Bitte rette mich“, beginnt in der Musik wie im Video der endgültige Abschied, als aufstrebender Hoffnungsruf an die Zeit und die äußerliche Weltlichkeit eine Auflösung der Gefühle zu erfüllen. Unterstützt vom offenen, langgezogenen, melodiösen Gesang und einer atmosphärischen Gitarre. Der schon bekannte Refrain erklingt ein letztes Mal. Die Wiederholung des Textes steht nun der Vergangenheit als Wunsch gegenüber und bekommt hier, durch den narrativen Verlauf des Videos, eine andere Bedeutung. Musikalisch und bildlich wird der Ausklang des Liedes erreicht, indem das befreiende Gefühl gegenüber dem nicht zu erfüllenden Wunsch bestehen bleiben soll. Dies versucht sich auch anhand der letzten Abschiedschreie und dem Verstreuen der Asche zu manifestieren. Ein wichtiges Gitarrenriff wird als Reprise wiederholt und bildet so einen, auf den Anfang verweisenden, rahmenden Abschluss.


Ein bisschen zu viel wirkt der dargestellte Seelenschmerz schon, auch da im Abspann noch einmal die Asche in der aufsteigenden Morgenkälte verweht. Vielleicht auch nicht, da es schwierig ist nachzufühlen, wie das heftige Gefühl ist, in jungen Jahren den Tod eines Partners zu verkraften. Für die Umsetzung dieser Idee, der Zusammenführung von Musik und Bild und der Vermittlung eines so stimmigen Gefühlskosmos ist, unabhängig davon, ob die Intention des eigentlichen Liedes getroffen wurde, zu danken.



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The Hirsch Effekt – „Lifnej“ 08:36’, 23. Juni 2017 – Web-Airplay, Youtube.

Directed, Cut & Edited by Robin Selhorst Camera: Moritz Maibaum, Robin Selhorst Actors: Lea Kortgoedde, Hartmut Noerenberg Band: Nils Wittrock, Ilja Lappin, Moritz Schmidt

Music-/Video Rights: LIFNEJ is taken from the The Hirsch Effekt album ESKAPIST, released on 18/08/2017 via Long Branch Records. https://www.youtube.com/watch?v=fqRPBtXZSsE – Lizenziert an YouTube durch The Orchard Music (im Auftrag von Long Branch Records) und 2 musikalische Verwertungsgesellschaften.


Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht am 22.09.2018:

http://dkritik.de/kritik/musik-video-lifnej-the-hirsch-effekt/


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Warum nur tu’ ich mir das an? / Wieso erneuert dieser Zyklus / das Muster jeden Lebens, das ich nahm? / Vielleicht bin ich allein, aber so ging ich immer den / entzweiten Weg, der für mich auserkoren war / Und jetzt bin ich es / der meine eig’nen Irrungen auserkoren hat / Mein eigenes Andenken an jedes Leben, das ich nahm / So bleibt mir als einzige Aussicht / dieses herrliche Panorama / auf das Leben, das durch meine Hände gleitet / Meine Hände, die einst noch fühlen konnten / ob das, was sie anfassen, gut oder böse ist / Taub scharren sie jetzt an den frostigen Wänden jener Grube / in der ich einst die Toten vergrub, aber finden keinen Halt / Dort, wo Obhut, Trost und Zuversicht erfroren sind / ist ein weit’rer Firnis müßig / Wir gehören jetzt hier her / Ist dies hier wirklich kein Traum? / Wann wachen wir endlich auf? / Ist dies hier wirklich kein Traum? / Ist dies das Aus? / Das Aus einer Welt, wie sie jetzt nicht mehr wird? / Einmal noch! / Gib dich mit mir hin! / Tanz mit mir servil zum uns vertrauten Lied / von Sehnen und Monotonie / Ganz egal, was die Nacht verheißt / wenn wir die Augen öffnen / wie bitterlich wir dann wohl bereuen? / Ich kann nicht erwachen / Wo habe ich uns verloren? / Ich kann dich nicht finden! / Bist du noch in meinem Traum? / Es gibt kein Entrinnen! / Endlos schlaf’ und such’ ich dich! / Bist du schon wach oder längst in deinem eig’nen Traum? / Bitte weck mich / Einmal noch! / Gib dich mit mir hin! / Tanz mit mir servil zum uns vertrauten Lied / von Sehnen und Monotonie / Ganz egal, was die Nacht verheißt / wenn wir die Augen öffnen / wie bitterlich wir dann wohl bereuen?

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