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  • AutorenbildArne K. Fischer

The Reenactment of Killing

Joshua Oppenheimer nimmt uns mit auf eine dokumentarische Reise durch Indonesien, das Land mit der viertgrößten Bevölkerung. Wir begegnen Anwar Kongo und seinem Untergebenen Adi Zulkadry.

Beide waren in ihrer späten Jugend Fans und Ticket-Verkäufer für Black-Market Filme, die meist aus den USA beschafft wurden. Viele Cinephile bevorzugten Gangsterfilme, wie Anwar erzählt - auch andere Traumwelten konnte Hollywood im Gegensatz zu den Propagandafilmen bieten. Nach dem Umsturz des pro-kommunistischen Regimes Indonesiens durch Suharto, kam es zur massenhaften Anheuerung von Auftragskillern, die das Land pro-westlich ausrichten und von der falschen Ideologie befreien sollten. Für Anwar stand mehr das Geld, nicht die politische Orientierung im Vordergrund. Von 1965 an gehörte er zu den Führern des wohl aktivsten Todeskommandos und hat selbst mehr als 1000 Menschen ermordet, genau kann er sich nicht mehr an die hektische Zeit erinnern. Besonders stolz ist er allerdings auf seine effiziente Tötungsmethode, denn die Hinrichtungen mit Macheten verursachten zu viel Blutfluss und dauerten bei der guten Auftragslage zu lange. Jetzt über 40 Jahre nach der Tat besuchen wir mit Anwar die Terasse im Hinterhof eines Geschäfts, dessen Inhaber sich freundlich bereiterklärt die angepriesene Erdrosselung mit Draht nachzuspielen, sodass Anwar sein Können zumindest ansatzweise demonstrieren kann.

Mit The Act of Killing gibt Oppenheimer Anwar Congo und anderen älteren, aktiven Mitgliedern der Pancasila Youth eine Plattform, um vergangene Gräueltaten nachzuspielen. Die Hauptfiguren nehmen dies als Möglichkeit wahr, einen teilweise biografischen Film zu entwerfen, um diesen geschminkt und in übertriebenen Verkleidungen in Kulissen oder aus dem Stehgreif an Originalschauplätzen mit den dort Wohnenden laienhaft nachzustellen. Die Dokumentation spannt einen Bogen aus den 60er Jahren bis in die Gegenwart und zeigt uns neben den verheerenden politischen Entwicklungen auch die Reflexion Anwars und die derzeitige Situation Indonesiens, die unter ihrer unverarbeiteten Vergangenheit leidet.

Die drastischste Szene entsteht, als zusammen mit der Pancasila Youth ein Walddorf besucht und abgebrannt wird. Es besteht großer Zweifel darüber, inwieweit die Situation außer Kontrolle gerät, ob die Häuser Attrappen oder echt sind. Das Chaos scheint besonders für die Kinder der schreienden Frauen zu heftig, die so erschreckend echt agieren, dass sich die Frage aufdrängt, ob hier extreme Traumata aus- oder aufgelöst werden. Hierdurch wird es fast unmenschlich für das Reenactment durch den Film zu argumentieren, dahingehend dass das Vorgehen der Pancasila Youth eine Bestandsaufnahme ist und die Statisten durch den verfilmten Terror dazu beitragen, das Bild einer interessierten Öffentlichkeit über die abscheulichen Greuel in Stand zu setzen, wobei sich eigentlich vielmehr zeigt, dass diese perfide Zurschaustellung in aller Öffentlichkeit tatsächlich möglich ist.

Oppenheimer versucht sich so liberal wie möglich durch die moralisch fragwürdigen Konstellationen zu bewegen, interviewt verschiedene Seiten und stellt sich indem er Anwars und Adis Handlungen als klar zu erkennendes unmenschliches Portrait zeigt, gegen das herrschende System, das diesen Zustand aufrechterhält. Die Vorgehensweise ist sehr geschickt konstruiert, sodass den Hauptfiguren stärker ihr eigenes Handeln, als ihre Reflexion im Medium des Films bewusst wird und es so scheint, als ob tatsächlich eine innerliche Auseinandersetzung der Protagonisten stattfindet. Die Person Anwar kommt schließlich zu Fall - er hat Schlafprobleme, Alpträume, die er nicht wirklich als solche benennt - er wirkt psychisch gespalten. Der gezeigte Weg scheint Oppenheimers Vorgehen zu legitimieren und stellt abschließend die Frage auf, ob eine formellere Vorgehensweise, eine größere Weichspülung als die surrealistischen, abscheulichen Filmelemente in TAoK bedeutet hätte, die den Dimensionen der inhaltlichen Thematik, eben weil sie reinszeniert und geziegt werden einen noch unfassbareren Rahmen verleihen.


The Act of Killing - 159‘, Norwegen/Dänemark/UK 2012.


Darsteller: Anwar Congo, Adi Zulkadry Originalsprache: Indonesisch

Regie: Joshua Oppenheimer Produzent: Werner Herzog Kamera: Carlos Arango de Montis Schnitt: Niels Pagh Andersen Musik: Elin Øyen Vister

Verleih: Neue Vision, Start: 14.11.2012


Eine erste vorangehende Fassung wurde hier veröffentlicht:

http://dkritik.de/kritik/the-reenactment-of-killing/

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