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Theaterkritik: VOR SONNENAUFGANG / Schauspiel Hannover

Autorenbild: Arne K. FischerArne K. Fischer

U.a. morgen Abend / Di 07.01.2025 / spielt VOR SONNENAUFGANG im Schauspiel Hannover. Ein zeitgenössisches Familien-Drama mit hervorragendem Text von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann, REGIE Stefan Pucher, DRAMATURGIE John von Düffel.


Das Stück ist besonders zu genießen, wenn die Übertreibung der inhaltlichen Schwere in den Trash kippt und im Wechsel die analytische Genauigkeit über persönliche Verantwortung im aufkeimenden Faschismus wieder die Oberhand gewinnt. Ein präzises Spiel aller Performend*en.


Die Erzählung reißt durchweg mit. Die Dynamik ist bemerkenswert, lässt ruhige Momente nur zum Durchatmen, ist passend hektisch und einfühlsam. Zumindest, wenn die inhaltliche Schwere als Trash rezipiert werden kann. Ansonsten überwiegt der Realismus bei all den mitgelieferten Gesellschafts- und Persönlichkeits-Problemen als eine ernüchternden Dystopie.

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Dass sich im Kern zwei ehemalige Bekannte nun im veränderten politischen Spektrum der Neuzeit gegenüberstehen, wird scheinbar beiläufig und immer wieder sinnvoll, ohne Abschluss verhandelt. Der erfolgreiche Firmenchef THOMAS HOFFMANN von Max Koch gespielt und der humanistisch links-orientierte ALFRED LOTH / Hajo Tuschy, sind irritiert vom jeweiligen Standpunkt und versuchen diesen lästigen Umstand durch fortwährend aggressive Sticheleien zu bekämpfen. Die Textebene ist überaus durchdringend: Abstrakte Sinnentleerung zeugen von Oberflächlichkeiten, abgehackte Sätze, ungewöhnlicher Satzbau und sprachliche Verzerrungen verstärken die un-/gewollte Misskommunikation, evtl. durch Abwandelungen und Anleihen im Österreichischen entwickelt, wirkt dies stilistisch prägend.


Das Tohuwabohu der Familienangelegenheiten tobt drum herum. Die Alkoholsucht des Alten EGON KRAUSE / Lukas Holzhausen, die werdende Mutter MARTHA / intensivst von Tabitha Frehner gespielt - deren Depression sich über alles legt und bspw. Geschwisterneid und -liebe von HELENE / Caroline Junghanns unterdrückt, während die überfürsorgliche Stiefmutter ANNEMARIE KRAUSE / Johanna Bantzer versucht bei den anderen zu punkten.


Lediglich DR. PETER SCHIMMELPFENNIG / Nikolai Gemel - dessen Rolle mehr Raum verdient hätte - da er vorgibt, sich rauszuhalten und dennoch das System unterstützt. Auch da er in der Abschlussszene, wie das Publikum der passive Teil der Gesellschaft Verantwortung trägt. Die Darstellung des Kindstod durch herbeigeeilte, in Notfall-Sanitäts-Montur gekleidete Laien-Schauspielenden wirkt zu hinweisend und heben das persönliche Schicksal in den Vordergrund, wodurch der Schlussstrich einer Mitverantwortung unterbrochen wird. Dennoch - der so erzählte Abschluss lässt die Hoffnung verspüren, dass sich die beklemmende Konstellation nun auflösen kann.


Ästhetisch wird das Stück von aktuellen Trends unterstützt. Minimalismus der aspekthaft mit Zitaten aus den 80er und 90ern überladen wird. Die Live-TV-like-Video funktioniert besonders zu Beginn und während hektischer Szenen auf der Bühne. Dabei wird in den Raum der Zuschauenden auf dem verdeckenden Teil des oberen oder unteren Teil der Bühnen-Architektur das projiziert, was bspw. hinterm Haus geschieht. Emotionen in Detailaufnahmen, heimliche Flirtereien und Zigarettenqualm.


Die langsam näher rückende Position der drehbaren Kulisse soll den aktweisen Fortschritt der einen Nacht symbolisieren und auch Lichteffekte versuchen, weitere, teils unnötig Aspekte hervorzuheben. Die Zusammenstellung der Einrichtungsgegenstände wirkt auf sich bezogen - vermag jedoch nicht den Neureichtum dieser kleinbürgerlichen Wohngemeinschaft überzeugend auszustatten. Es wirkt zu klapprig, zu wenig traditionell und hinter dem Spießbürgerlichen zu modern.


Die Kostüme erscheinen aufgrund aktueller Mode-Zitate bzgl. Vivian Westwood und in Übergröße sehr treffend. Inhaltlich ist jedoch fragwürdig, weshalb die Figuren sich so bewusst zu kleiden vermögen. Die Überhöhung ihrer Selbstherrlichkeit kann in den Profilfotografien als Wandtapeten gesehen werden - leider stellen diese, da sie unveränderlich und starr ins Publikum glotzen, keinen Wandel oder Verfall dar, sondern sind höchstens im schwarz-weißen Kontrast zu den Gewändern eher als unerträgliche Fassaden wahrzunehmen.


Das Stück kann natürlich keine Antwort auf den politischen Rechtsruck formulieren. Es stellt uns jedoch vor, die unausweichliche Frage: Position beziehen? Welche? Und legt mit der gewissen Belustigung über die familiären Zerwürfnisse nahe, nicht den Populismus als Antrieb für den eigenen Gewinn zu wählen, auch wenn das eigene Haus kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wer diesen Stress grundsätzlicher Fragen zu Verantwortung aushalten mag, landet einem sehr stark besetzten Stück und kann einen inspirierenden Abend genießen.


Premiere: 13.12.2024


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https://www.arnekfischer.de/post/theaterkritik-vor-sonnenaufgang-schauspiel-hannover


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