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  • AutorenbildArne K. Fischer

Warten auf den Schachzug

Aktualisiert: 6. Mai 2019

Dieser monochrome Videostreifen, mit Clippings und teilweise hängender Synchronisation, wird in den USA als der Independent-Film des Jahres gefeiert. Meine erste Sicht war ziemlich gelangweilt, allerdings hat sie sich stark gewandelt, nachdem mir klar wurde, wie wenig entfernt wir uns von diesen skurrilen Ereignissen befinden.

Andrew Bujalski hatte 2002 mit Funny Ha Ha sein Debüt und wurde 2005 für Mutual Appreciation, wie auch jetzt auf rottentomatoes.com mit über 85% bewertet. Mit Computer Chess begeben wir uns in ein Setting, das vor circa drei Dekaden in einem unbekannten Städtchen spielt, wo in einem Hotel die Meisterschaft im Schach zwischen Computersystemen ausgetragen wird. Eine Berichterstattung für das TV vor Ort soll nicht nur uns eröffnen, was wir belustigend zur Kenntnis nehmen: Schnauzbärte und enge Kleidung im späten 70er Verschnitt, Chemie-Unterrichts-Brillen und vermusterte Teppiche und Tapeten, zwischen denen klobige Spielautomaten stehen, die noch gar nicht nach Home-Entertainment System aussehen, aber dennoch die Zukunft versprechen sollen.

Diesen Punkt hatte ich übersehen, es sind die tatsächlichen Vorläufer unserer Erfahrung mit verfrühten Games, die wir nun in vollendeter Form als Retro-Erlebnisse von Spieleklassikern erleben, die uns erahnen lassen, welche Begeisterung vor den Bildschirmen der Programmierer gesteckt haben mag - nur vergisst man dies unter der frühen Wiederverwertung dieser Periode allzu schnell. In Computer Chess beginnt erst hier der eigentliche Wettkampf. Denn eins der Systeme wird gewinnen und Prestige und Fördergelder auf sich ziehen! So hofft man, zumindest bis zum zweiten Zug, wenn die ersten korrupten Zahlenwerte auftreten und auf jeglichem Weg versucht wird das Rechenwerk des Gegners zu infiltrieren. Die Nerds, so arrogant sie sind, bleiben im Bann des Konferenzraums gefangen. Die Handlung wird im Laufe des Films von den Erfahrungen von Shelly, Peter und Michael dominiert. Die erste Frau, die an solch einer Convention teilnimmt, bringt u.a. Peter den jungen IT-Studenten dazu, über seinen Logarithmus von Zahlen und Gefühlen nachzudenken und treibt ihn in die Arme eines esoterischen Pärchens, das an einer Selbsterfahrungsgruppe teilnimmt, die sich im selben Hotel eingefunden hat.

Michael ist der Freak, der auch im Film für die anderen wie eine absonderliche Substanz wirkt, während er nachts durch die Flure streift, da kein Zimmer für ihn gebucht wurde. Michael trifft auf die dunkle Seite der Nerds, von denen sich Assoziationen zum Cyberpunk und dem Dark-Net ergeben, die in der Silk-Road enden könnten. Diese Substanz wirkt also als Gegenstück zur Selbsterfahrungsgruppe, bei deren experimenteller Performance eine Geburt nachzuspielen kaum noch auffällt, wer von den Schauspielern als Laie oder schon länger an Filmsets mitwirkt.

Ratsam ist es neben diesem Aspekt davon zu sprechen, dass die Video-Ästhetik, missverständliche Dialoge und falsch gesetztes Licht, dem Aufbruch in die neue Ära gewidmet sind. Einige Stellen des Films erinnern leider trotzdem an die sinnfreie Wählzeit eines 56k-Modems, mit der kaum etwas anzufangen war ... oder hielt dies doch den Sinn frei für Wesentliches?


Computer Chess - 92‘, USA 2013.


Regisseur & Drehbuch: Andrew Bujalski Produzenten: Houston King, Alex Lipschultz Director of Photography: Matthias Grunnsky Production Designer: Michael Bricker Costume Designer: Colin Wilkes

Darsteller: Patrick Riester – “Peter Bishton”, Wiley Wiggins – “Martin Beuscher”, Myles Paige – “Michael Papageorge”, Robin Schwartz – “Shelly Flintic”, Gerald Peary – “Pat Henderson”, Gordon Kindlmann – “Tom Schoesser”, James Curry – “Les Carbray”, Jim Lewis – “John”, Chris Doubek – “Dave”, Cyndi Williams – “Pauline”, Tishuan Scott – “Keneiloe”

Verleih: Rapid Eyes Movie Starttermin: 7. November 2013


Dieser Artikel erschein zuerst auf:

http://dkritik.de/kritik/warten-auf-den-schachzug

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